Struktur und Ausdruck

Das Erkunden des Spiels zwischen Struktur und Ausdruck bildet das Leitmotiv unserer Beschäftigung in Lehre und Forschung. In den kommenden Jahren richten sich danach die Entwurfsstudios aus, werden spezifische Forschungsfragen formuliert, Doktorate geschrieben, Bücher publiziert, Symposien organisiert und Ausstellungen gemacht. Nicht um der Forschung willen, sondern (hoffentlich) als Beitrag für die Architektur.

Häuser
Der Entwurf eines Hauses ist Beweis des eigenen architektonischen Denkens. Das Haus ist körperlicher Ausdruck, Struktur, Detail, Material, Geschichte und Theorie in einem. Ein Haus ist materialisierte Interdisziplinarität. Es ist die Kernaufgabe unseres Faches. Aus Häusern besteht unsere gebaute Welt. Häuser sind kultureller Ausdruck. Sie sind Nebenmenschen.

Transparenz
Struktur und Ausdruck führen eine stille Unterhaltung. Wir spüren das feine Hin und Her zwischen struktureller Identität und (äusserer) Erscheinung.
Fehlt der Struktur der Wille zum Ausdruck, kommt heraus ein blosses Gestell. Die Vorstellung geht nicht über die der gestapelten Standsicherheit hinaus. Und Ausdruck ohne Gedanken an seine Struktur, seine Innenwelt, produziert nur eine rhetorische Hülle. Dabei geht es um Transparenz. Nicht die buchstäbliche, sondern eine im übertragenen Sinn (zu lesen auch bei Colin Rowe). Eine Transparenz, die innere Elemente im Äusseren spürbar macht—sie an die Oberfläche bringt und darüber hinaus. Eine Transparenz, die gegen eine banale Verkapselung der Dinge arbeitet; eine, die das Exzentrische schätzt. Die transparente Verbindung dieser Innen- und Aussenwelt ermöglicht die bauliche und räumliche Idee in der Figur des Hauses. Struktur und Komposition lassen sich nicht mehr voneinander unterscheiden. Ebenso wenig wie Raum und Gestalt, Figur und Grund. Situativ und nicht systematisch drückt sich die Idee von architektonischer Struktur aus.

Der Wert der Dinge
Dinge haben keinen Wert. Sie sind wertlos, bis wir ihnen einen Wert geben. Spekulatives Entwerfen ist die stetige (Neu-)Bewertung der Dinge, die uns umgeben.
Auch wollen wir die Dinge anfassen, sie berühren, damit sie schließlich uns berühren. Am liebsten hineingehen. Gesprochen wird nur über das was da ist. Alles was fassbar ist, existiert. Das muss reichen. Für die Vorstellung der Realität.

Die Nachbarschaft der Dinge
Nachbarschaft ist Nähe ohne strukturelle Verbindung. Die Nähe der Dinge ist verantwortlich für die räumliche Szene. Für die Atmosphäre des Raums. Die Distanz dazwischen ist eine Sache, die Proportion eine andere. Es spielt eine Rolle wie groß, wie dünn, wie glatt, schwer oder weich das eine Element sich im Vergleich zu dem daneben verhält. Ob strukturell oder nicht, die Verbindung der Dinge, Teile oder Elemente ist immer eine kompositorische Frage. In der Stadt und im Haus.

Architektur ohne Funktion
Ein Haus, Raum oder Ort lebt durch seine Elemente, nicht durch seine funktionale Bestimmung. Der Zweck kommt mit dem Auftrag. Der Zweck ist einfach. Muss er sein, damit er interpretierbar bleibt. Sowohl im Entstehen als auch im Leben des Gebäudes. Ein Haus unterscheidet sich von einem Container, weil man es auch ohne Inhalt bemerkt. Eine unbedingte Architektur ist das Ziel.

Der Ort des Geschehens
Einen Ort des Geschehens (siehe Louis Kahn, Silence and Light, 1969) gibt es immer. Ein Ort, der den Raum bestimmt und benachbarte Räume gleich mit. Aber er muss kein Zentrum sein. Manche Räume und ihre Ausstattung eigenen sich besser, andere schlechter. Diese räumliche Fähigkeit ist zu einem gewissen Grad planbar. Verändert sich aber möglicherweise über den Tag, die Nacht und das Jahr.

Das Wohnen
Beim Arbeiten wissen wir worum es geht. Die Arbeit ist meist mit einer bestimmten Tätigkeit verbunden, für die es bevorzugte Werkzeuge oder sogar Räume gibt. Aber fürs Wohnen? Was macht man, wenn man wohnt? Wohnt man auch, wenn man steht? Oder muss man dabei sitzen, oder gar liegen? Bilder bürgerlicher Bequemlichkeiten kommen in den Sinn. Das Sofa, der Esstisch, die großzügige Küche sind die Zutaten. Aber ist es das? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mich diese Bilder langweilen.

Der Raum
Raum ist keine Erfindung. Raum war schon immer da. Diese Erkenntnis erleichtert die Aufgabe. Wir brauchen ihn nur zu suchen. Und finden ihn um uns herum, oder bei den Architekten vor uns.

Die Stadt
Die Stadt ist das kritische Projekt der Architektur. Die Architektur braucht Kontrolle, die Stadt Freiheit.
Die Architektur hat den Plan, die Stadt braucht die Regel als Instrument.
Städte lassen sich nicht bauen, nur ihre Häuser.
Mit Stadt ist auch das Land gemeint.

Die Schönheit des Schattens
Selbstkritik ist die stärkste Form der Kritik. Sie macht aus einer Serviceleistung einen Beitrag für die Disziplin. Sie ist kein Sport. Auch kein distanzierter politischer Kommentar. Sondern kommt aus dem Innern der eigenen Arbeit. Die Kritik am eigenen Tun ist Teil jedes Projektes und Teil der Verantwortung gegenüber dem eigenen Entwurf.

Die Ordnung der Dinge
Ordnung bedeutet Abhängigkeit. Chronologie bestimmt die Reihenfolge, bestimmt die Hierarchie von Bauteilen, deren tektonische Ordnung. Was kommt über was, in was, durch was? Der Bauablauf prägt den Charakter des Hauses. Das Trockene folgt auf das Nasse. Immer?

Die Zeichnung
Die Zeichnung ist wichtig. Sie baut die Idee auf Papier. Sie ist gedachte Architektur. Damit ist sie immer ein Bauplan. Sie hat einen Zweck.
Sie ist es, die spricht.
Wir zeichnen ständig. Jeden Tag, jede Woche.
Eine Zeichnung von Hand muss nicht gut sein. Ihre Existenz ist viel wert. Jede Linie ist wichtig.

Das Räumliche Modell
Das Modell ist ebenso wichtig wie die Zeichnung. Es hat synthetische Qualität. Ein Modell ist ein erster räumlicher und materieller Test. Um dazu fähig zu sein, muss ein Modell groß sein. Ab dem Maßstab 1:20 wird aus einem Objekt ein räumlich erfahrbares, d.h. hilfreiches Modell jenseits reiner Repräsentation. Licht fällt, Schatten modelliert, Tiefe entsteht, Dimension und Materialstärke kommunizieren. Modelle sind durch ihre Verkleinerung immer abstrakt. Daher müssen sie so konkret wie möglich gebaut sein. Das Bauen von „abstrakten Modellen“ bringt wenig. Ein Rendering kann das physische Modell nicht ersetzen, vielleicht informieren.
Ein Modell muss gut sein.

Høvikodden, Exhibition, Sverre Fehn, 1972